§§ 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG regelt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Tötung eines Wolfs, wenn Schäden bei Nutztierrissen zwar keinem bestimmten Wolf eines Rudels zugeordnet werden können, der Abschuss von Einzelmitgliedern des Wolfsrudels aber in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen steht. Das verstößt grundsätzlich auch nicht gegen die artenschutzrechtlichen Vorgaben in Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie.

Das Nds. OVG hat in seinem Beschluss vom 24.11.2020 (4 ME 199/20) die Voraussetzungen, unter denen eine solche Ausnahmegenehmigung im Einzelfall erteilt werden darf, weiter präzisiert, und zwar im Anschluss an seinen Beschluss vom 22.02.2019 (4 ME 48/19, RdL 2019, 181). In jener Entscheidung hatte das Nds. OVG den Sofortvollzug einer Abschussgenehmigung für den bundesweit bekannten männlichen Leitwolf GW 717m im sog. Rodewalder Rudel gebilligt, welche Abschussgenehmigung seinerzeit bis zum 28.02.2019 befristet war. Diese Befristung war von der Behörde dann mehrfach fortgeschrieben worden und letzthin ausgelaufen. Nachdem es im Mai 2020 erneut zu einem Rinderriss und zwei Pferderissen kam, erteilte der zuständige Landkreis im Juli 2020 eine weitere für sofort vollziehbar erklärte Ausnahmegenehmigung zur Tötung dieses Wolfsrüden. Dabei gestattete der Landkreis für den Fall, dass der zu tötende Wolf in der Landschaft nicht anhand besonderer, leicht erkennbarer äußerer Merkmale identifiziert werden könne, eine Identifizierung auch über den engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die dem Wolfsindividuum zugeordneten Rissereignisse. Dabei müsse nach jeder Entnahme eines einzelnen Wolfs abgewartet werden, ob im Revier des Rodewalder Rudels die Nutztierrisse aufhörten bzw., soweit möglich, mittels genetischer Untersuchung ermittelt werden, ob tatsächlich der Wolf GW 717m entnommen worden sei. Werde das umgesetzt und träten gleichwohl weitere Übergriffe auf, könne in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen sukzessive jeweils ein weiteres Mitglied des Rudels bis zum Ausbleiben der Schäden bzw. bis zum Abschuss des Wolfs GW 717m entnommen werden. Diese Ausnahmegenehmigung befristete der Landkreis bis zum 31.12.2020 und beschränkte sie räumlich auf ein bestimmtes, dem Rodewalder Wolfsrudel zugeordnetes Territorium. Die anerkannte Umweltschutzvereinigung, die bereits Antragstellerin im vorausgegangenen Verfahren war, hat gegen diese Ausnahmegenehmigung erneut Widerspruch eingelegt und zunächst beim VG beantragt, dass dieses die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen möge. Nachdem das VG diesen Antrag abgelehnt hat, bleibt nun auch die Beschwerde vor dem OVG erfolglos. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG seien erfüllt. Die Gefahren- bzw. Schadensprognose des Landkreises genüge den gesetzlichen Vorgaben. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass nach den Feststellungen der Behörde an einem Rissereignis im Juni 2020 zwar mehrere Wölfe des Rodewalder Rudels, nicht aber der Leitrüde GW 717m beteiligt gewesen sei. Aus der Rechtsprechung gerade auch des EuGH ergebe sich nicht, dass eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung eines bestimmten Wolfs nur dann erteilt werden dürfe, wenn dieser mittels genetischen Nachweises zweifelsfrei als Schadensverursacher bestimmt werden konnte. Im Fall des von der Umweltschutzvereinigung problematisierten Pferderisses habe sich im Übrigen auch ohne konkreten Nachweis der Beteiligung des Leitrüden ein Jagdverhalten der Wölfe offenbart, das für den Leitrüden mittlerweile als typisch angesehen werden könne. Es sei, so das OVG weiter, auch davon auszugehen, dass die Rinder- und Pferdehalter in den konkret zu beurteilenden Fällen die notwendigen Herdenschutzmaßnahmen getroffen hatten. Schließlich bekräftigt das OVG, dass es für die Prüfung der Erheblichkeit des drohenden Schadens nicht darauf ankomme, ob der geschädigte Tierhalter die Rinder/Pferde in einem Wirtschaftsbetrieb oder aber zu Hobbyzwecken halte. Ob ein Schaden erheblich oder nur geringfügig sei, beurteile sich nicht nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, sondern analog der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Vogelschutzrichtlinie. Erheblich sei danach jeder Schaden, der nicht lediglich geringfügig ist.

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